Freitag, März 23, 2007

Hippie im Herzen

60s-Legende Joan Baez spielt im Kuppelsaal in Hannover vor fast ausverkauftem Haus
Von Barbara Mürdter

Joan Baez beeindruckt allein durch ihre Präsenz und ihre Stimme: Die schlanke Mittsechzigerin sieht mit den kurzen silbernen Haaren und dem schwarzen Hosenanzug umwerfend aus. Eine kleine Handbewegung oder ein paar Töne aus ihrem Mund hinterlassen mehr Eindruck als ein gesamte wilde-krakeelende Rockband, die über die Bühne tobt. Mit dem seit über 45 Jahren bewährten Rezept aus Akustikgitarre und politischen Songs hat Baez auch im reifen Alter das Publikum auf ihrer Seite.Und das besonders, weil eine lebende Legende auf der Bühne meist auch Gäste anzieht, die selbst nicht mehr ganz taufrisch sind. Im Hannover Congress Centrum senken an diesem Abend nur die von diesen alteingesessenen Fans mitgebrachten jugendlichen Söhne und Töchter das Altersniveau.




Erfüllte Erwartungshaltung

Baez hat dann offensichtlich kein Problem, die Erwartungshaltung des Publikums zu erfüllen, das sie mit dem Folkrevival und der Hippiezeit assoziiert. Sie beginnt das Konzert im bestuhlten Saal, der bis auf die Ränge gefüllt ist, mit Bob Dylans „Farewell Angelina“ aus dem Jahr 1965. Dylan, der Musiker, mit dem sie über ihre ganze Karriere verbunden blieb – durch Zuschreibung von außen, aber auch in ihrem Herzen. Nach ein paar Jahren als Traumpaar der Folkmusik hatte dieser zwar zur elektrischen Gitarre gegriffen und sich auch um Baez nicht mehr geschert, aber sie trägt seine Fackel weiter bis heute. Über zwei Stunden wird sie viele Lieder singen, die sie schon seit 30 oder 40 Jahren im Repertoire hat, nicht nur von Dylan, sondern auch anderen Zeitgenossen wie Leonard Cohen. Ergänzt werden sie durch einige Interpretationen von Songs jüngerer Singer-Songwriter-Kollegen, die sie unter anderem auf den 2003er Album „Dark Chords on a Big Guitar“ eingespielt hat.

Große Interpretin

Baez bezieht gleich mit dem zweiten Song Stellung gegen den Irakkrieg - mit Elvis Costellos „Scarlet Tide“. Die Texte sind wichtig – langsam und deutlich erklärt sie die Inhalte, untermalt dies mit ausholenden Gesten. Sie nimmt Rücksicht auf ein Publikum, dessen Muttersprache nicht Englisch ist und kokettiert auch mit ein paar Brocken Deutsch. Ihren ersten Lacher erntet sie, als sie auf das „Scheißwetter“ schimpft.

Im ersten Teil des Sets und zum Schluss hin wird sie von zwei Musikern begleitet: Graham Maby und Erik Della Penna, vergleichsweise junge Burschen, spielen verschiede Gitarren, wie Elektrobass, Steelguitar, Banjo und die klassische Akustische, und unterstützen mit Harmoniegesang. Die Band, obwohl solide, bleibt zumeist jedoch merkwürdig farblos. Baez beeindruckt solo am meisten, besonders bei dichten, intensiven Songs wie ihre bittersüße Erinnerung an Dylan, „Diamonds & Rust“ und Dylans „Love Is just a Four-Letter Word“. Hier wirkt ihre Stimme: Sie bewegt sich im Raum zwischen ihrer trällernden, hohen und glockenklaren Jugendstimme und ihrer raueren, tieferen Alterstimme. Das dies in Momenten zu kleinen Patzern führt wie bei einem Jungen im Stimmbruch, irritiert zwar, ist aber charmant.


(Foto: Wikipedia)

Baez war schon immer die profiliertere Interpretin als Autorin. Zwei eigene Stücke gibt sie zum Besten: Neben dem 1975er „Diamonds and Rust“ gab es mit „Sweet Sir Galahad“ ein Lied, dass sie schon anno 1969 in Woodstock gesungen hat. Insgesamt ist das Arrangement der Songs im Set etwas eintönig. So richtig Schwung kommt im Konzert nur beim spanischsprachigen „Gracias a la Vida“ auf, und die Band kommt nur zweimal richtig zum Zuge: Bei Sam Cookes Soulklassiker „Wonderful World“, das angeblich an diesem Tag zum ersten mal ins Repertoire aufgenommen wurde, und Steve Earles musikalisch eigentlich eher schwachem Stück „Jerusalem“, das die Drei dynamischer und intensiver interpretieren als das Original.

Geschichten aus dem Nähkästchen

In ihrem Element ist Folkgroßmutter Baez, wenn sie aus den alten Tagen berichtet: Sie erzählt ganz bestimmt nicht zum ersten mal lustige Anekdoten aus den 60ern, wie vom wahrhaft symbolischen Akt, als sie Dylans Zettel mit dem Song „Love Is just a Four-Letter-Word“ aufsammelte, den dieser achtlos weggeworfen hatte. Johnny Cash, von dem ja damals jeder gewusst hätte, dass er in June Carter verliebt war, obwohl er noch mit seiner ersten Frau verheiratet war, widmet sie die Mörderballade „Caleb Meyer“. Der stammt aus der Feder von Bluegrass-Revivalistin Gillian Welch aus der künstlerischen Enkelgeneration.


(Foto: Wikipedia)

Baez erzählte, dass Pressevertreter sie unweigerlich fragen würden, was denn der Unterschied zwischen den 60er Jahren und heute sei. Die Zeiten seien sich sehr ähnlich, antworte sie immer darauf. Und warum werden dann keine Songs wie „Blowin’ in the Wind“ und „Imagine“ mehr geschrieben, insistierten die Reporter dann. Würden sie doch, meint sie und intoniert „The Day After Tomorrow“ von Tom Waits. Dass dieser auch nicht mehr so ganz jugendlich ist, fällt aus Baez Perspektive nicht so auf.

Gemütlicher Abend ohne politischen Biss

Auch wenn Baez die riesige Bühne vor der weißen Leinwand mit den Lichteeffekten ohne weiteres füllt, wirken ihre theatralischen Handbewegungen, wenn sie ohne Gitarre am Mikro steht, für ein rock- und punksozialisiertes Publikum etwas irritierend. Die an Bühnendiven aus dem Chansonbereich angelehnten Gesten scheinen bei einigen Songs fehl am Platze – sie erinnern zum Teil unfreiwillig an eine animierte Barbiepuppe oder die roboterartigen Bewegungen von Kraftwerk. Baez hatte schon zeitlebens einen gewissen Hang zur Tantigkeit und zum Kitsch – was ihr einiges an Spott einbrachte, aber heute verzeihlich wirkt. So gehört sie zu den wenigen Interpretinnen, die Bettina Wegeners eigentlich unsägliches „Kinder (Sind so kleine Hände)“ singen können, ohne richtig doll peinlich zu sein - wenn sie es charmant acapella vom Blatt abgelesen interpretiert und sich dabei auch mal im Text vergaloppiert.

Mit zwei Klassikern läd sie das Publikum zum Mitsingen ein: „Sag mir wo die Blumen sind“ und zur zweiten Zugabe als letztes Stück des Abends „Amazing Grace“. Die Besucher klingen glücklich, auch wenn sie die Töne nicht immer treffen. Sie bedanken sich artig mit Standig Ovations. Ernüchternd dann allerdings die Erkenntnis, dass in der Welle der nostalgischen Gemütlichkeit und der Verehrung des ikonisierten Weltstars die politischen Botschaften jeglichen Biss verloren haben, ja eigentlich keine Rolle mehr spielen.

Mehr über Joan Baez auf ihrer offiziellen Webseite.

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