Das Rumpeln des Subway
Originalartikel in langeleine.de.
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Im Rahmen der Ausstellung “New York in Berlin” präsentiert das Haus der Kulturen der Welt in Berlin derzeit die Musikreihe “Greenwich Village”. Im Mittelpunkt stehen Folk und Antifolk aus dem “Big Apple”. Für Musikfans ist das erlesene Programm eine Reise wert
Text und Fotos: Barbara Mürdter
Kurator Detlef Diederichsen wollte die Klischees, die mit New York in Verbindung stehen, ganz bewusst vermeiden: “Ich wollte nicht Lou Reed einladen und auch niemanden ‘New York, New York’ singen lassen.” Diederichsen wollte tiefer gucken und New York als die Welthauptstadt der Musikindustrie darstellen. Als Keimzelle jeglicher kommerziellen Musik sieht er die Broadway-Tradition seit dem 19. Jahrhundert. Folglich befasste sich ein Teil der von ihm in Berlin präsentierten Musikreihe mit verschiedenen Blickwinkeln auf diese Tradition. Außerdem ging es um New York als Hauptstadt der lateinamerikanischen Musik. Im zurzeit stattfindenden letzten Teil der Reihe soll der Folk dargestellt werden, der sich als Gegenbewegung zur zunehmenden Kommerzialisierung und Stilisierung der Broadway-geprägten Popmusik entwickelte.
Session mit Bob Neuwirth auf der Greenwich Village-Bühne
Folk als Ausdrucksmittel
“Die Leute fühlten sich abgestoßen und wollten es nun weniger künstlich und heileweltmäßig haben. Sie wollten eine simple, pure Musik in der auch die Wirklichkeit eine Rolle spielt, in der man auch seine Meinung zum Ausdruck bringen kann, seine Dissidenz. Es hat in New York in den 50er-Jahren begonnen, und es gibt bis heute unter kaum verändertem Vorzeichen immer noch eine aktive Szene, sogar noch an den selben Orten, nämlich in Greenwich Village”, erklärt Detlef Diederichsen. In den 1940er-Jahren war Woody Guthrie in die Stadt gekommen und hatte durch seine Präsenz quasi im Alleingang die Grundlage für die politisierte Folkszene der frühen 60er-Jahre geschaffen: Phil Ochs, Joan Baez und als alles überstrahlende Figur natürlich Bob Dylan, der in seinen jungen Jahren zu Guthries glühendsten Verehrern zählte.
Professor Louie trägt den Geist der Sechziger in sich
Aus der politischen Bewegung der 60er-Jahre kommt auch Professor Louie, der gemeinsam mit der Jeffrey Lewis-Band am Eröffnungsabend auf der Bühne stand. Allerdings war er seinerzeit im Theater engagiert. Auf die Idee, seine sozialkritischen Gedichte zu rappen, um sie den Menschen nahe zu bringen, kam er erst Anfang der 80er im Zuge des frühen HipHop. Seitdem tritt der inzwischen 65jährige bei Gewerkschaftsveranstaltungen, Benefizveranstaltungen und in linken Buchläden und Musikclubs auf. In seinem Viertel kennt ihn jeder – außerhalb niemand. Er ist eine der kleinen Perlen, dieses Stück New Yorker Leben, welches die Veranstalter ausgegraben und nach Europa geholt haben.
Cooler Onkel: Professor Louie aus Brooklyn rappt sozialkritische Gedichte
Und Professor Louie hat gute Beziehungen zu den Kuratoren: Sein Neffe Jeffrey Lewis ist der Co-Kurator der Veranstaltung. “Jeffrey Lewis ist ein unglaublich intelligenter und unterhaltsamer Musiker, Texter und Entertainer. Außerdem ist er mir dadurch aufgefallen, dass er sich auf seinen eigenen Platten und auch in seinen Comics stark auf die Geschichte seines Genres bezieht, sich extrem gut auskennt und auch die obskurste Elektra-Platte von 1964 kennt,” erzählt Diederichsen. “Und er kennt die Leute eben auch teilweise persönlich. Der ist mit Tuli Kupferberg [von den Fugs] und Peter Stampfel [von den Holy Modal Rounders] zusammen aufgetreten. Er repräsentiert quasi diese Ganzheit der Szene so wie ich sie hier auch gern ins Haus bringen wollte.”
Jeffrey Lewis ist neben Detlef Diederichsen Co-Kurator der Veranstaltungsreihe
Beeinflusst vom Rumpeln der Subway-Waggons
Der 32-jährige Lewis selbst fand es in seiner Bescheidenheit hingegen eher belustigend, dass er jetzt plötzlich als Musikexperte für New York zu einem hochkulturellen Ereignis geladen wurde. Aber er fühlte sich auch geehrt und war sofort mit Begeisterung dabei: “Ich hätte mindestens hundert Künstler herholen wollen, die ich wirklich Klasse finde, Bands, die den Geschmack New Yorks und des New Yorker Undergrounds im Folk darstellen, und wie sie sich mit anderen Genres verbinden, weil New York Dinge auf interessante Art verknüpft.” Und er stellt eine interessante These auf: “Die Eigenheit von New Yorks Musik ist durch zwei Dinge entscheidend geprägt worden: Zum einen durch die räumliche Enge, wo man sich etwas einfallen musste, wie man Musik machen kann. Und zum Zweiten: Wenn es stimmt, dass das Unterbewusste im Takt der US-amerikanischen Musik durch den Rhythmus der Züge geprägt wurde, dann ist die New Yorker Musik durch das Rumpeln und Quietschen der Subway-Wagons beeinflusst, die nie ganz im Takt sind.”
Querverbindungen und skurrile Typen
Um all diese Querverbindungen für das Publikum deutlich zu machen, werden in der Veranstaltungsreihe auch Filme gezeigt, so zum Beispiel “Bound to Loose” über die Holy Modal Rounders - eine der schrägsten Bands aus den 60ern, die Songs über Drogen und Sex sang, um das Establishment zu provozieren. Ex-Band-Mitglied Peter Stampfel, der auch Mitglied der ähnlich gelagerten Fugs war, trägt seine seltsamen, sehr eigenen Sachen bis heute vor und ist in Berlin als Gast geladen.
Auf dem Index: Von John Lennon produzierte Platte des New Yorker Straßenbarden David Peel
Ebenfalls zur alten Garde zählt ein anderer Musiker, der kaum über New York hinaus bekannt wurde: David Peel. Peel ist seit den 60ern ein bekannter Straßenmusiker und hat am Ende des Jahrzehnts ein paar Alben auf dem Label Elektra eingespielt. Anfang der 70er begeisterte sich New York-Fan John Lennon für die durchgeknallte Urtype aus der Lower East Side-Szene und produzierte das Album “The Pope Smokes Dope” für das Beatles-eigene Apple-Label. Es landete wegen der provokativen Texte prompt auf dem Index. Peel wurde erst in den 90er-Jahren von Fans der zweiten Generation wiederentdeckt. Jeffrey Lewis schwärmt: “David Peel ist sehr repräsentativ für die verrückte New Yorker Szene.” Dieser Punk-Folk sei ein unterschätzter Teil der New Yorker Kulturgeschichte.
Ish Marquez begann als manischer Akustik-Gitarrist und spielt heute Midtempo-Rock mit persönlichen Texten
Junge Musiker und Veteranen stehen gemeinsam auf der Bühne
Ein Ziel der Veranstaltungsreihe “Greenwich Village”, die noch bis zum 27. Oktober geht, ist es, jüngere und ältere Musiker, welche die Entwicklung der Folkmusik in New York repräsentieren, zusammenzubringen. Zu sehen sein werden auch jüngere Bands aus der vom Punk geprägten New Yorker Antifolk-Szene wie Dufus und Prewar Yardsale. Ein Schwachpunkt des Programmes ist, dass bis auf zwei Bandmitglieder keine Frauen beteiligt sind und mit Ish Marquez nur ein nicht-weißer Act. Gewünschte Künstler wie Odetta, Richie Havens, Dianne Cluck, Dina Dean und Kimya Dawson hatten, von den Kuratoren glaubwürdig bedauert, abgesagt. Jeffrey Lewis findet es auch schade, dass die Reihe nicht als Festival an mehreren zusammenhängenden Tagen stattfindet: “Ich hätte gerne erlebt, wie sie alle zusammen spielen. Ich fühle mich wie ein beschützendes Elternteil”.
nähere Informationen zum Programm:
Haus der Kulturen der Welt Berlin, Musikprogramm
Labels: Berlin, Konzert, Konzertvorschau, New York, Veranstaltung
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