Mittwoch, Juni 20, 2007

AfroReggae aus Brasilien beim Festival Theaterformen in Hannover






















Webseite von AfroReggae
Webseite des Festivals Theaterformen

Schöne Fotos von AfroReggae zu Hause in Rio

Und ein Artikel dazu, den ich für die taz geschrieben habe.

Kultur als Waffe gegen Gewalt

Das brasilianische Kulturprojekt AfroReggae präsentiert im Rahmen des Hannoverschen Festivals "Theaterformen" einen Eindruck vom Leben in den Favelas. Die jungen Schauspieler und Musiker zeigen, dass es Alternativen zu einer Karriere als Drogendealer mit minimaler Lebenserwartung gibt

VON BARBARA MÜRDTER

Die Lebenserwartung eines Dealers in den Slums von Rio de Janeiro liegt zwischen 14 und 25 Jahren. Eine Realität, mit der Anderson Sà aufwuchs. Dass er mittlerweile fast dreißig ist, noch lebt, und sogar ein anerkanntes Mitglied seiner Gemeinde ist, ohne kriminell zu sein, hat er vor allem seinem Engagement in dem Kulturprojekt AfroReggae zu verdanken.



Sà wurde hineingeboren in ein Milieu, was zu seiner Teenagerzeit nur eine Karrierechance offenhielt für einen ambitionierten jungen Mann wie ihn: sich einem der Drogenkartelle in den Favelas anzuschließen. "Es wurde nichts für die Favelas getan, für Bildung oder Kultur. Es gab keinen öffentlichen Platz, kein Gesundheitszentrum. Die Leute waren arbeitslos, hatten nichts zu tun. Kriminalität wurde und wird als Zeitvertreib und als Einkommensquelle gesehen", sagt er.

Sàs Leben nahm eine 180-Grad-Wendung, nachdem er 1993 seinen Bruder bei einem der übelsten Racheakte der brasilianischen Polizei verlor. 21 unschuldige Favela-Bewohner waren wahllos getötet worden, weil Drogenbanden vier Polizisten ermordet hatten, die das Viertel terrorisierten. Sà hatte trotz seiner Wut das Gefühl, dass diese Spirale der Gewalt durchbrochen werden müsse - eine Botschaft, die er in sein Viertel tragen wollte. Mittel dazu sollte Musik und Kultur sein. Und Sà sah auch, dass die Veränderung von innen kommen musste, weil es von außen keine Hilfe geben würde.

Das Ereignis hatte auch andere aufgewühlt, und Sà fand Gleichgesinnte wie den Funk-DJ José Junior mit seinem Projekt AfroReggae. Sie versuchten, über die Identifikation mit Musik, Jugendliche von der Straße zu holen und eine Alternative zu einer kriminellen Karriere zu bieten. "AfroReggae hatte zunächst Reggae-Parties angeboten, um schwarze Kultur positiv darzustellen," erzählt Sà. "Als sie merkten, dass da ganz verschiedene Leute hinkamen, gaben sie eine kleine Zeitung heraus, die neben Musik auch soziale Themen behandelte." Jugendliche wurden in eigene Musikprojekte eingebunden und die Aktivisten sorgten dafür, dass sie eine Ausbildung bekamen - als Musiker, Tänzer und Sänger, aber auch als Grafiker oder Manager.

Dabei waren sie auf Spenden und das, was sie im Abfall finden konnten, angewiesen. So wurden aus ausgedienten Plastikfässern und einem Seil Trommeln gebaut, weil es keine Instrumente gab. In ihren Texten sprachen sie Dinge an, die keiner sonst zu sagen wagte: Sie prangerten Polizei-Brutalität an, zeigten deren Verstrickung in den Drogenhandel auf und boten auch den nicht weniger korrupten und grausamen Bandenbossen in den Vierteln verbal die Stirn.

AfroReggae verdienten sich schnell mit ihrer Musik und ihren sozialen Projekten Respekt. Auch wenn die Drogenbosse noch immer erfolgreicher waren in der Rekrutierung junger Mitglieder, wuchs das kleine Projekt konstant und erregte jenseits der Favela-Grenzen Aufsehen. "Vigário Geral wurde in meiner Teenagerzeit als die gewalttätigste Favela in ganz Brasilien gesehen - alles war immer nur negativ. Jetzt gab es in der Öffentlichkeit auch positive Bilder", sagt Sà.

Mittlerweile gibt es 73 Projekte unter dem AfroReggae-Dach: Musik-, Zirkus und Tanzgruppen. Sogar Workshops zu Webdesign und Internetradio werden in den vier Zentren in den Favelas angeboten. In Vigário Geral gilt es nicht mehr als allein selig machendes Ziel, Drogendealer zu werden. AfroReggae hat hunderttausende Anhänger in Brasilien und bekommt Fördergelder aus US-amerikanischen Stiftungen. Die Hauptband hat einen internationalen Plattenvertrag und tourt seit neun Jahren in der ganzen Welt.

Sà, der bei aller Ernsthaftigkeit oft ein verschmitztes Lächeln zeigt, ist heute einer der Stars von AfroReggae. Er war sogar Hauptfigur in einem viel beachteten Dokumentarfilm über die Geschichte des Musikprojekts und das Leben in den Favelas: "Favela Rising". Er sieht seine Aufgabe mittlerweile vor allem als Multiplikator: "Ich nehme Einladungen an, Vorträge zu halten und empfange Gäste bei uns um ihnen zu zeigen, wie unser Projekt funktioniert." Er versucht, Jugendliche von einem Weg in die Kriminalität abzubringen und genießt eine Anerkennung in seinem Viertel, wie sie früher nur die Dealer bekamen mit ihrem Geld und den Motorrädern - und aufgrund der Angst, die sie mit ihrer skrupellosen Brutalität verbreiteten.

In seiner prominenten Funktion steht Sà noch mehr als die anderen Favela-Bewohner konstant in Gefahr, Opfer eines Mordanschlags zu werden. Vor wenigen Jahren hatte es eine Drogenbande aus einem anderen Viertel auf ihn abgesehen, obwohl AfroReggae neutral ist. Einige Stunden war er in Lebensgefahr. Er entkam nur, weil seine Kollegen zu ihm hielten. Ihr Mut beeindruckte die Drogenbosse, und sie mochten die Musik des Projekts.

Wie durch ein Wunder überlebte Sà zudem einen schweren Surfunfall, bei dem er sich einen Halswirbel verletzte. Eine Operation hätte niemand bezahlen können. Die Gemeinde fürchteten nicht nur um das Leben des beliebten Musikers, sondern auch um die Existenz des AfroReggae-Projekts. Ein sozial engagierter Arzt behandelte ihn schließlich umsonst, prognostizierte aber eine dauerhafte Lähmung. Zehn Monate später stand Sà wieder auf der Bühne.

Ihren Optimismus, auch schwere und scheinbar aussichtslose Lebenslagen meistern zu können, wollen AfroReggae weitervermitteln. Auch in Hannover wollen sie nicht einfach ihre Show spielen. Dem künstlerischen Leiters des Festivals Theaterformen, Stefan Schmidtke, lag ebenfalls daran, dass von den Veranstaltungen etwas in der Stadt bleibe und weitergetragen werde. Er bat die Musiker, einen Workshop mit hannoverschen Jugendlichen zu betreiben, der von Jugendleitern vor Ort weitergeführt werden soll.

Die Jugendlichen werden sogar mit auf der Bühne des Schauspielhauses stehen - und auch ein hannoversches Polizeimusikcorps. Was zunächst seltsam anmutet, ist ein Detail der Arbeit in Rio: Das gemeinsame Musizieren soll zu einer Annäherung zwischen Polizisten und der Bevölkerung führen, Vertrauen schaffen.

In ihrer Show erzählen die Musiker zu Hip-Hop-Musik ihre eigene Geschichte. Das aktuelle Stück heißt: "Es gibt keinen Grund für Krieg." Die Botschaft ist universell. "Das haben wir genau so vor einem Jahr in London uraufgeführt, und vor vier Tagen in Sao Paolo, wie wir es jetzt in Hannover zeigen", erzählt Sà. Zum besseren Verständnis gibt es Untertitel in der jeweiligen Landessprache.

17 Musiker aus Brasilien werden auf der Bühne stehen. Einer jedoch fehlt: José Junior, Initiator von AfroReggae und Regisseur des Stückes, musste in Rio bleiben. Er wird als Vermittler in gerade mit neuer Gewalt ausgebrochenen Kämpfen zwischen der Polizei und den Drogenkartellen gebraucht. Auch wenn nicht plötzlich alles eitel Sonnenschein ist, sieht Anderson Sà AfroReggae als Erfolg: "Die Mordraten sind noch immer sehr hoch. Aber es gibt es inzwischen mehr Regierungsinitiativen in den Favelas. Wir sind ein Vorbild für andere Gemeinden mit ähnlichen Problemen geworden. Wir bekommen ständig Anfragen."

AfroReggae ist zu sehen im Rahmen des Festivals Theaterformen am 19. und 20. Juni im Schauspielhaus Hannover. Mehr Informationen unter www.theaterformen.de

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Dienstag, Juni 12, 2007

Patti Smith Jukebox

Patti Smith, die große alte Dame des Rock, ist mit neuem Album auf Deutschland-Tour

Mit ihrem aktuellen Album “Twelve” erfüllte sich Smith selbst einen Wunsch, den sie jahrzehntelang gehegt hatte. Sie wollte ein Coveralbum mit ihren Lieblingssongs aufnehmen. Eine Ikone covert Ikonen, von Jimmy Hendrix bis Nirvana - so erscheint es für uns Hörer. Doch für Smith sind es Zeitgenossen, die sie verehrte, und von denen sie oft gleichermaßen verehrt wurde. Die meisten hat sie in der brodelnden Musikszene ihrer Heimatstadt New York persönlich kennengelernt. Als junge Poetin, noch ohne musikalische Ambitionen, saß sie auf den Treppen des Electric Ladyland-Studios, in dem sie jetzt das neue Album aufgenommen hat, und plauderte mit Jimmy Hendrix. Bob Dylans Song “Like a Rolling Stone” hatte sie in den 60ern auf die Spur gebracht, ihre Weltauffassung geprägt. Dylan sollte sie ebenso wie den von ihr verehrten Keith Richards bald kennenlernen - als einen ihrer Bewunderer.

patti smith 2007

Patti Smith mit ihrer Band 2007

Eine von den New Yorker Punk-Jungs

Das eindrucksvollste Foto von Patti Smith wird für immer das Cover ihres Debütalbums “Horses” (1975) bleiben. Hier hat ihr Freund und Seelenbruder, der schwule New Yorker Fotokünstler Robert Mapplethorpe, die junge Smith als wunderschönen androgynen Tomboy festgehalten. Smith war “one of the boys”, eine aus der New Yorker Punk-Szene, die aussah und sich bewegte wie die Jungs. Und doch wurde sie über die Jahre zu einer Ikone und zum vielzitierten Rollenvorbild für Mädchen und Frauen, die Rock machen wollten - oder einfach andere Idole suchten als das althergebrachte Püppchen und andere Ideale hatten als ein Hausfrauendasein. Doch Smith wehrte sich gegen diese Aneignung. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs, der nach ihrer Kolloboration mit Bruce Springsteen, “Because the Night”, kam, ging sie Ende der 70er mit ihrem Mann aufs Land, um eine Familie zu gründen.

patti smith horses

Das berühmte Cover von Patti Smiths Debütalbum “Horses”, aufgenommen von ihrem Fotografen-Freund Robert Mapplethorpe

1988 erschien dann Patti Smiths Comeback mit “Dream of Life”. Danach folgte wieder eine lange Pause. Mehrere ihrer engen Freunde und Verwandten starben in diesen Jahren - zuerst Robert Mapplethorpe, dann ihr Ehemann und ihr Bruder. Doch keine Geringeren als Michael Stipe von R.E.M. und Beat-Poet Allen Ginsberg drängten Smith 1996, wieder aufzunehmen und auf Tour zu gehen. Im April 2007 erschien ihr zehntes Album, auf dem sie vor allem auf ihre goldenen Jahre zurückblickte, die späten 60er und die 70er.

patti smith land

2002 erschien das Doppelalbum “Land”, das Patti Smiths Werk von 1975 bis heute dokumentiert

Entspannte Interpretation anspruchsvoller Klassiker

Die Reaktion auf das Albums “Twelve” war zunächst eher verhalten. Da waren die Smith-Fans, die sowieso alles gut finden, was ihre Heldin macht, und da waren die Abschätzigen, die eine reine Cover-Platte nur “verzeihen”, wenn sie die ultimativen Interpretationen enthalten. Richtig ist die Kritik: Keine der Interpretationen übertrifft die Originale, die vielfach von ihren Autoren schon unschlagbar genial interpretiert worden waren. Wenige der Aufnahmen sind bemerkenswert anders gestaltet, sieht man vielleicht von Nirvanas “Smells like Teen Spirit” ab, das durch die Verwendung akustischer Instrumente fast Traditional-Charakter gewinnt und zum Schluss sogar experimentell wird. Doch die meisten der Stücke sind mehr oder weniger konventionell eingespielt und bleiben nahe am Original.

patti smith fotoband

Ein Band mit Fotos, auf denen ihr Jugendfreund Frank Stefanko Patti Smiths Werdegang porträtiert, erschien Anfang des Jahres unter dem Titel “Patti Smith - American Artist”

Smith konzentriert sich auf den Song an sich, macht ihn sich zu eigen, und zeigt seine Stärken und manchmal auch Schwächen auf. So legt das schwache “Soul Kitchen” – im Original von den Doors - gnadenlos bloß, dass Jim Morrisson doch nicht der Songschreiber und Lyriker vor dem Herren war, für den er bis heute oft gehalten wird. Wohingegen nicht zufällig Dylans “Changing of the Guards” das Highlight des Albums ist. Sein Status als einer der größten Songschreiber des Jahrhunderts gilt als unumstritten. Nach Smiths Aussage hat ihr das Aufnehmen dieses Songs am meisten Spaß gemacht. Und auch in der strengen Dylan-Fangemeinde wurde Smiths Fassung abgesegnet, sogar der Meister selbst soll Gefallen an ihrer Interpretation gefunden haben. Überhaupt Dylan: Selten hat man den alten Grummel so entspannt, milde und offensichtlich angetan gesehen wie auf Fotos mit der jungen Patti Smith Mitte der 70er Jahre. 1996 half er Smith bei ihrer Comebacktour. Und offensichtlich hält seine Bewunderung an.

Ein typisches Smith-Album

Hart betrachtet, ist “Changing of the Guards” allerdings der einzig wirklich bemerkenswerte Song auf dem Album – und selbst der reicht nicht an Cat Powers legendäres Cover des Stones-Klassikers “Satisfaction” heran. Aber bei Patti Smith geht es um etwas anderes: Lange schon hat sie den Ikonenstatus als große alte Dame des Rock - jenseits der üblichen Bewertungskriterien. Der Reiz ist, wie sich hier eine Ikone die Songs anderer Ikonen zueigen macht. Mit der Zeit entfalten die altersmilden Interpretationen, die keine auffälligen Experimente zulassen und scheinbaren Gleichmut ausstrahlen, ihren Reiz. Und je öfter man sich das Album anhört, desto stärker wird es zu einem typischen Smith-Album, auf dem sie die ganzen Jungs-Songs letztendlich zu einem homogenen Singer-Songwriter-Album zusammengewoben hat.

patti smith twelve

Das Cover von Smiths aktuellem Album “Twelve” zeigt ein Tambourin, das sie vor 35 Jahren geschenkt bekam

Einen wichtigen Beitrag zu “Twelve” hat Smiths Band geleistet, die die Stimme der Sängerin im Mittelpunkt lässt und sie einfühlsam begleitet. Neben ihren langjährigen Mitmusikern - Lenny Kaye, Tony Shanahan und Jay Dee Daugherty - bringen sich Gastmusiker wie Flea von den Red Hot Chilli Peppers und Tom Verlaine von Television mit ein. Und Smith schöpft nicht nur aus ihrer lang vertrauten Musikerfamilie - auch ihre eigenen Söhne Jesse und Jackson Smith sind mit von der Partie. Schließlich kommen auch das Politische und die Wut nicht zu kurz, auch wenn diese Haltung nicht mehr so wild herausgeschrien wird, wie vor Jahren. Smith begründete die Auswahl des Songs “Smells Like Teen Spirit” damit, dass sie Cobains Wut und Verzweiflung nachvollziehen konnte, schon als sie den Song zum ersten mal hörte. Und sie berichtet, dass sie zum ersten mal des Textes und der Aktualität des Songs “Gimme Shelter” in seiner vollen Bedeutung bewusst wurde, als sie ihn jetzt selbst sang: “War children is just a shot away“ (Der Krieg, Leute, ist nur einen Schuß weit entfernt).

  • Live zu sehen ist Patty Smith unter anderem morgen, am Dienstag, den 12. Juni, in Hamburg in der Großen Freiheit, Eintritt: 27 Euro

(Foto: Pressefoto)

Patti Smiths Homepage
Foto: Pressefoto

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Freitag, Juni 01, 2007

Daniel Kahn & Painted Bird

Daniel Kahn & Painted Bird am 31. Mai 2007 live in Hannover, Feinkost Lampe.

Fotos & Copyright: Barbara Mürdter